Die Panoptykon Foundation ist eine polnische NGO, die gegen Überwachung und für Digitalrechte kämpft. Eine ihrer Mitgründerinnen war 2009 Katarzyna Szymielewicz. Szymielewicz ist heute immer noch Präsidentin der Stiftung und leitet ihre europäische Lobbyarbeit. Wir haben mit ihr am Rand des Tech and Society Summits gesprochen, wo Europas Zivilgesellschaft zusammenkam, um ohne Big Tech über Digitalpolitik zu diskutieren.
netzpolitik.org: Was ist gerade das größte digitale Thema in Polen?
Katarzyna Szymielewicz: Für uns bei Panoptykon gibt es nicht wirklich eine Abgrenzung zwischen Polen und allem anderen – wir denken global über digitale Probleme nach, weil sie Grenzen überschreiten.
Eine zentrale Herausforderung bleibt, den digitalen Raum zurückzugewinnen, besonders die sozialen Medien. Was wir in Polen und auch in vielen anderen Ländern erleben, ist die Polarisierung der Debatten.
Der jüngste Regierungswechsel in Polen war ein großer politischer Wandel, hat sich aber nicht positiv auf dieses Problem ausgewirkt. Die Gesellschaft ist tief gespalten. Das hängt damit zusammen, wie die sozialen Medien funktionieren, wie sie Geld verdienen und was Werbeunternehmen erwarten. Im Moment haben wir ein geschlossenes Ökosystem, in dem alle das gleiche Spiel spielen, außer den Social-Media-Plattformen. Die sind wie ein Kasino, das immer einen Gewinn macht, wenn wir verlieren.
Wenn man Politiker:innen in Polen fragen würde, würden die sicher etwas anderes erzählen. Aber ich bin mir ziemlich sicher: Es würde einen gewaltigen Unterschied machen, wenn wir verbessern würden, was in sozialen Medien Reichweite bekommt. Ich sehe nicht, wie das aus unserem Land selbst kommen kann, aber ich sehe einen Weg, wie wir zusammen mit der Europäischen Union daran arbeiten können. Das ist definitiv das Thema, das mit so vielen anderen Problemen verbunden ist, dass ich damit anfangen würde: Empfehlungssysteme und ihre Logiken zu verbessern.
„Es hat sich nichts geändert“
netzpolitik.org: Der Regierungswechsel Ende vergangenen Jahres hat nichts verändert?
Katarzyna Szymielewicz: Absolut nichts. Die neue Regierung spielt mit der Polarisierung, sie hat alles so gemacht, was die vorherige Regierung als effizient bewiesen hat. Wir haben immer noch Politiker, die keine Probleme lösen, weil sie das weniger sichtbar machen würde.
Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Lage an der Grenze. Das war eines der ersten Dinge, wo die Leute Veränderung erwartet haben – das zweite war Abtreibungen, das dritte vielleicht LGBTQ-Rechte.
Es hat sich nichts geändert, rein gar nichts. Das heißt nicht, dass die Themen nicht existieren. Die Regierung fühlt nur keinen Druck, ihre Politik zu ändern. Wir haben anscheinend dieses Stadium von post-demokratischem Verfall erreicht, in dem man keine Politik mehr ändern muss, nur noch Narrative. Dinge ändern ist gefährlich, in sozialen Medien oder im Fernsehen über Dinge reden nicht. Also nein, keine guten Neuigkeiten.
netzpolitik.org: Die Lage an der Grenze ist wahrscheinlich auch ein eigenes Digitalthema, oder?
Katarzyna Szymielewicz: Das kann sie sein, ja. Wir sind gerade dabei, Beispiele von KI-gestützten Überwachungssystemen und Überwachungssystemen allgemein bei der polnischen Verwaltung zu sammeln. Wir hoffen, dass es mit der KI-Verordnung öffentliche Datenbanken geben wird, die zeigen, welche KI-Überwachungssysteme in einem Land wie Polen im Betrieb sind. Mit all den Ausnahmen, die Rat und Parlament am Ende des Trilogs noch in die KI-Verordnung gepackt haben, sind wir uns übrigens weniger sicher, dass das passieren wird.
Wir versuchen mehr über diese Systeme zu erfahren, aber es ist unglaublich schwer. Es gibt keinen Weg, wie wir an Informationen kommen können. Wir wissen, was wir sehen können – es gibt einen Zaun und der Zaun hat Kameras. Aber welche Systeme, welche Technologie dahinter steckt, wie Drohnen eingesetzt werden, welche Daten gesammelt werden, ob biometrische Daten gesammelt werden, ob Menschen auf der Flucht irgendwie profiliert werden – das wissen wir alles nicht.
Nichts Neues an der Ostgrenze
netzpolitik.org: Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, ist für diese Grenzen zuständig und sitzt in Polen. Sind sie in der polnischen Debatte präsent?
Katarzyna Szymielewicz: Ich sehe sie kaum je in den Medien oder bei öffentlichen Veranstaltungen. Ich glaube, sie sind sehr glücklich, in einem Land zu sitzen, in dem nichts über sie aufgedeckt wird und in dem sie nicht zu viel sagen müssen.
Es ist sogar ziemlich symbolträchtig, wo sie sitzen: in einem beliebten Bürogebäude, zusammen mit vielen Unternehmen. Das ist ein großer Turm in Warschau, den man nicht betreten kann, außer man arbeitet bei einem der großen Unternehmen oder bei Frontex selbst. Sogar davor zu protestieren, wäre absurd. Man würde vor einem großen Bürogebäude direkt neben einer vielbefahrenen Kreuzung protestieren.
Pegasus-Fall ist stark politisiert
netzpolitik.org: Was können Sie zum aktuellen Stand der Pegasus-Untersuchung in Polen sagen?
Katarzyna Szymielewicz: Das ist eine weitere sehr politisierte Diskussion. Als die aktuelle Regierung noch in der Opposition war, hat sie die Untersuchung als großes Argument gegen die vorherige Regierung genutzt, um zu zeigen, wie wenig sie die Privatsphäre respektiert. Menschenrechtsorganisationen haben auch angefangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, wir eingeschlossen. Mindestens ein Gerichtsfall wird gerade nach Straßburg an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht.
Wir hoffen, dass wir Empfehlungen für Polen bekommen, solche Werkzeuge zu verbieten – oder dass angemessene Schutzmechanismen eingeführt werden. Wir glauben, dass solche Werkzeuge mit Schutzmechanismen legal sein können. Aber das ist eine Frage von fünf Jahren oder noch später. Das wissen wir, weil wir solche Fälle schon früher vorgebracht haben, und es hat sieben Jahre gedauert, bis unser Fall in Straßburg angehört wurde und ein Urteil bekommen hat.
Die neue Regierung hat Pegasus heftig kritisiert, sie haben es als heißen Fall gegen ihre politischen Gegner benutzt. Sie haben jetzt alle Werkzeuge, dieses Problem zu lösen. Und sieh mal einer an – sie setzen noch nicht einmal das Urteil um, das Panoptykon in Straßburg errungen hat.
netzpolitik.org: Was sollte sich in diesem Bereich verändern?
Katarzyna Szymielewicz: Wir erwarten eine umfassende Reform, wie Geheimdienste in diesem Land arbeiten. Regeln für Dinge wie Pegasus zu schaffen, ist ein Teil davon. Aber ein noch wichtigerer Teil ist es, eine unabhängige Aufsichtsbehörde zu schaffen, die Beschwerden von Bürger:innen anhören kann. Viele Länder haben schon solche Behörden.
Wir stellen uns kein parlamentarisches Gremium wie in Deutschland vor, sondern etwas, das frühere Geheimdienstbeamt:innen und Richter:innen im Ruhestand zusammenbringt. Die Behörde sollte professioneller sein. Ich glaube nicht, dass parlamentarische Gremien diese Funktion wirklich erfüllen können. Das ist mehr eine Sache für eine Behörde mit Leuten, die wissen, was sie tun, und die auf beiden Seiten Vertrauen genießen.
Wir haben diesen Vorschlag in einem Prozess entwickelt, für den der damalige Bürgerbeauftragte Adam Bodnar Gastgeber war. Er ist jetzt Justizminister. Er weiß also genau, wie dieses Problem gelöst werden sollte. Aber macht er das auch? Nein. Wieso? Das weiß ich nicht.
Ein anderes Beispiel ist das Europäische Medienfreiheitsgesetz. Das wird in Polen gerade umgesetzt. Eine Klausel in diesem Gesetz erlaubt es, Werkzeuge wie Pegasus gegen Journalist:innen einzusetzen, wenn es auf nationaler Ebene ausreichende Schutzvorkehrungen gibt. Haben wir diese Schutzverkehrungen? Nein, haben wir nicht. Wird diese Klausel trotzdem umgesetzt? Ja, wird sie.
Das war gerade alles zynisch. Ich hoffe natürlich auf eine bessere Lösung. Aber nach beinahe einem Jahr mit der neuen Regierung sehen wir nicht wirklich, dass diese Probleme gelöst werden. Ich fürchte, dass sie beiseitegeschoben werden, weil sie nicht öffentlichkeitswirksam genug für die Titelseite sind.
Menschen über EU-Gesetze informieren
netzpolitik.org: Sie haben gerade die KI-Verordnung erwähnt. Ein Problem mit Spionagesoftware ist, dass die EU-Mitgliedstaaten sich immer hinter dem nebulösen Konzept der nationalen Sicherheit verstecken, wenn das Parlament versucht, ihre Überwachung zu begrenzen. Manche Leute in Brüssel wollen deshalb zumindest eine einheitliche Definition dieses Konzepts durchsetzen, damit sie sich nicht mehr ganz so viel dahinter verstecken können. Halten Sie das für eine gute Idee?
Katarzyna Szymielewicz: Ich mag es, wenn die EU versucht, Standards zu erhöhen. Gleichzeitig bin ich seit 15 Jahren in der europäischen Politik aktiv. Ich weiß, was in jedem Trilog passiert – wie der Rat immer wieder mit Ausnahmen ankommt, die immer, immer, immer mit nationaler Sicherheit zu tun haben, wie es auch jetzt wieder bei der KI-Verordnung passiert ist.
Ich bin also nicht naiv. Warum es nicht versuchen? Ja. Aber wird es funktionieren? Ohne echte Veränderungen auf nationaler Ebene, wie zum Beispiel das Schaffen einer unabhängigen Aufsichtsbehörde, die Untersuchungen durchführen kann, würden wir nie wissen, ob ein Mitgliedstaat wie Polen solche Standards auch einhält.
netzpolitik.org: Sie haben die KI-Verordnung erwähnt. Wie schaut Polen auf europäische Gesetze wie die KI-Verordnung, den Digital Services Act oder den Digital Markets Act?
Katarzyna Szymielewicz: Eins unserer Ziele als Panoptykon ist es, Desinformation über EU-Gesetze zu verhindern. So verhindern wir auch, dass Menschen von nationalen oder ausländischen Akteuren dazu verleitet werden, zu glauben, dass Regulierung sich gegen Menschen richtet. Ich glaube, dass in der EU Gesetze meistens vorgeschlagen werden, um Probleme zu lösen. Diese ganzen Digitalgesetze, die gegen Big Tech entwickelt wurden, halte ich für wirklich gut.
Aber was mit ihnen in der Praxis passieren wird, ist eine andere Geschichte. Das haben wir schon mit der Datenschutz-Grundverordnung gesehen, die im Prinzip ein sehr schlaues Gesetz ist. Und dann nahm der Markt sie als Ausrede für eine Reihe sehr irritierenden Praktiken, um Verbraucher:innen das Vertrauen in die EU und in das Gesetz auszutreiben. Ich glaube, da gab es einen sehr bewussten Plan.
Wird das mit dem Digital Services Act und der KI-Verordnung wieder passieren? Ich hoffe, es wird mehr Anleitung vom Gesetzgeber geben, um das zu verhindern. Aber es ist ein echtes Risiko. Und wenn das passiert, wenn Verbraucher:innen sich vor mehr Hürden wiederfinden, dann werden wir eine neue Frustrationswelle haben. Meine Hoffnung ist, dass wir genug Zeit und Ressourcen haben werden, um die Öffentlichkeit zu informieren und dieses Szenario zu verhindern. Das wäre für die Durchsetzung des Gesetzes sehr gefährlich.
netzpolitik.org: Sie beschäftigen sich seit 15 Jahren mit EU-Politik. Wo verorten sie sich dabei? Arbeiten Sie in Polen, arbeiten sie in der EU? In beiden?
Katarzyna Szymielewicz: Wir versuchen, beide Pferde zu reiten. Das war schon immer eine Herausforderung. Ganz am Anfang sind wir European Digital Rights beigetreten, unserem europäischen Netzwerk, und auch anderen Netzwerken. Das ist ein eigener Job und kostet eine Menge Arbeit. Es gibt Momente, in denen ich diese Wahl beinahe bereue und denke, wir sollten uns wieder auf Polen fokussieren und versuchen, lokal etwas zu bewegen. Da haben wir mehr Gewicht, sprechen die Sprache und verstehen die Medien.
Aber das wäre, wie sich selber zu blenden. Wir würden unsere Augen schließen und denken, oh, ich habe hier dieses Problem, und dabei ignorieren, dass das Problem in unserem Land durch die Praktiken globaler Unternehmen und durch Fehler der EU-Regulierung verursacht wird. Wir müssen beides machen.
Gerade ist unser Team aufgeteilt. Es gibt zwei Jurist:innen, darunter ich, die auf der EU-Ebene arbeiten, und zwei Jurist:innen auf der nationalen Ebene. Unser Schlüssel dazu, nicht völlig überfordert zu werden – denn das sind wir öfter –, ist Spezialisierung. Wir versuchen, uns unsere Kämpfe sehr taktisch auszusuchen. Es gibt also einen Kampf für die Regulierung von Geheimdiensten, einen Kampf für die Durchsetzung des Digital Services Acts – für uns fokussiert auf Empfehlungssysteme und wie sie repariert werden können – und einen zu KI, wo wir zum Beispiel die polnische Umsetzung der KI-Verordnung beobachten.
Der Überwachungskapitalismus wird bleiben
netzpolitik.org: 15 Jahre sind eine lange Zeit. Hat sich die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene in dieser Zeit verbessert? Ist die europäische Gesetzgebung besser geworden? Die eigentliche Frage: Wo geht es hin mit Europa?
Katarzyna Szymielewicz: Oh Gott, ich glaube nicht, dass ich das beantworten kann. (lacht)
Aus dem Blickwinkel von Lobbyist:innen für die Zivilgesellschaft würde ich sagen: Es geht uns super. Politiker:innen haben endlich Probleme erkannt, von denen wir ihnen seit zehn Jahren erzählen. Ich mag viele Teile von Ursula von der Leyens Entsendungsschreiben an ihre neuen Kommissar:innen. Ich mag die Idee eines Digital Fairness Acts. Ich mag viele Teile des Digital Services Acts sehr. In meiner Arbeitsrolle würde ich sagen, dass es uns sehr gut geht.
Aber als Bürgerin, als Mutter, als Mensch glaube ich, dass das alles den Bach runtergehen wird. Der Überwachungskapitalismus wird bleiben. Wir basteln an Stücken und Teilchen davon herum, aber die ganze Maschinerie hinter der Logik des Überwachungskapitalismus bleibt bestehen, in der Menschen in den letzten Jahren zu digitaler Biomasse statt zu denkenden Individuen geworden sind. Für mich fühlt es sich auch mit dem ganzen Fortschritt so an, als ob die Titanic am Untergehen ist. Wir müssen wahrscheinlich akzeptieren, dass die tiefe Krisis noch vor uns liegt.
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